Staatsgalerie - Carpaccio für den geistigen und kulinarischen Genuss

Das Carpaccio, ein Antipasto aus hauchdünn geschnittenem, rohem Lendenfilet mit einer würzigen Sauce, bestreut mit Parmesanspänen und Trüffeln, ebenso wie der klassische Bellini Prosecco-Pfirsichmark-Cocktail, sind bekannte und beliebte italienische Gaumenfreuden. Doch wie kamen sie zu ihrem Namen? Die Kunstfreundinnen und Kunstfreunde der SportKultur Stuttgart wissen das, sie haben es in der Stuttgarter Staatsgalerie erfahren. Kunst betrachten und sich erläutern lassen, ist ein Teil des geistigen Genusses, der zweite ist das Drumherum, was alles auf einem Gemälde an Alltagsszenen aus seiner Entstehungszeit zu sehen ist, aber auch die Geschichten, die sich um ein Werk ranken. Jedenfalls sind die venezianischen Maler der Frührenaissance, Vittore Carpaccio (1460/65-1525/26) und Giovanni Bellini (1437-1516) sowie sein Bruder Gentile (1429-1507), eben nicht nur die gefragten, sehr gut beschäftigten, produktiven Maler ihrer Zeit sowie Erneuerer der Malkunst. Sie sind Dank des Arrigo Cipriani, dem Besitzer der heute noch existierenden „Harry’s Bar“ nahe vom Markusplatz, seit den 1930er u. 1950er Jahren, Namensgeber für die beiden Spezialitäten des Hauses. Die Geschichten über das Warum und Wieso, böten genug Stoff für einen eigenen, langen Aufsatz.

Die Republik Venedig war zu Beginn des 16. Jh. eine blühende Metropole, reich geworden durch den Handel mit dem Osten und dem Norden sowie einer aggressiven Expansionspolitik. Der Besitz von Küsten und Inseln im östlichen Mittelmeer bis in die Levante, sicherte die Handelswege. Die Stadt war Zentrum des Buchdrucks, Treffpunkt der Kulturen und der Künste. Die Malerei genoss einen hohen Stellenwert, reiche Auftraggeber waren gute Kunden der Maler. Gerade in der Frührenaissance entwickelten sich neue Maltechniken und Sichtweisen. Die bisher ikonenhafte Darstellung von Personen wich einer natürlichen, realistischen Abbildungsweise. Alltagsszenen, wie Schiffe in den Häfen, Menschen bei der Arbeit oder Landschaftsansichten bereicherten die Werke. Durch die Entwicklung und Anwendung der Zentralperspektive zeigten Gemälde fortan eine sehr natürlich wirkende Tiefe. Die vermehrte Verwendung von Ölfarben statt Tempera, überraschte die Betrachter mit bisher ungewohnt leuchtenden Farben. Die Motive waren immer noch sakraler Natur. Erst Jahrzehnte später, mit der Verfestigung der Reformation und dem damit einhergehenden gesellschaftlichem Wandel, übernahmen weltliche Motive die Vorherrschaft in der Malerei. Vor vielen ausgestellten Exponaten aus dem Bestand der Staatsgalerie und von Leihgaben großer Museen, erläutert äußerst charmant, Kunsthistorikerin Birgit Wiesenhütter den Besuchern von Kunst&KultouR, die Exponate im Kontext der damaligen Zeit.

Bei genauer Betrachtung eines der berühmtesten Gemälde Carpaccios, „Der Löwe von St. Markus“, fällt ein Bilddetail auf. Es stellt sich dabei die Frage, warum er auf dem Cartellino, dem aufgemalten Signaturschildchen, das Entstehungsjahr 1495 in Römischen Ziffern die Schreibweise MCCCCLXXXXV anwendet, statt wie man es in Schule gelernt hat, als MCDXCV. Wusste er es nicht besser oder verwendete er einfach eine andere Darstellungsmöglichkeit? Im Prinzip ist das gleichgültig, das Nachdenken darüber, eignet sich jedenfalls prächtig als Gehirnjogging.

Text und Foto:     Norbert Klotz

https://www.staatsgalerie.de/de/ausstellungen/aktuell/carpaccio-bellini-und-fruehrenaissance-venedig (Ausstellung bis 2. März 2025)

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